Montag, 16. Juli 2018

Es gibt nur zwei Männer, die meine Frau küßt: ihren Gatten und den Mann, der ihre Familie ermordet hat.


"Ich will Ihnen von einem Mann erzählen, der viel schlimmer war als Sie. Es wird uns helfen, die Nacht durchzustehen. Es handelte sich um den Menschen, der die ganze Familie meiner Frau hingemordet hat. Meine Frau hat ihm ver- geben, und er wurde einer unserer engsten Freunde. Es gibt nur zwei Männer, die meine Frau küßt: ihren Gatten und den Mann, der ihre Familie ermordet hat." Und ich erzählte Gaston, wie sich das zugetragen hatte. Als Rumänien auf Deutschlands Seite in den Krieg eintrat, begann ein Pogrom, in dem viele Tausende von Juden umgebracht oder deportiert wurden. Allein in Jassy wurden 11 000 an einem Tag niedergemetzelt. Meine Frau, die meinen christlichen Glauben teilt, ist auch jüdischer Herkunft. Wir wohnten in Bukarest, von wo keine Juden deportiert wurden. Aber ihre Eltern, einer ihrer Brüder, drei Schwestern und noch 309 und ihr zwölfjähriger Bruder sind zusammen mit den übrigen Familiengliedern umgebracht worden. Sie ha- ben mir erzählt, daß Sie in der Nähe von Golta Hun- derte von Juden getötet haben. Man hatte die Familie meiner Frau dorthin gebracht." Ich sah ihm fest in die Augen und fügte hinzu: „Sie selbst wissen nicht, wen Sie erschlagen haben. "Wir können also der An- nahme sein, daß Sie der Mörder der Familie meiner Frau sind." Er sprang in die Höhe, seine Augen loderten. Er sah aus, als wollte er mir an die Kehle springen. Ich hob meine Hand und sagte: „Jetzt wollen wir ein Experiment machen. Ich werde meine Frau wecken und ihr sagen, wer Sie sind, und was Sie getan haben. Ich will Ihnen sagen, was dann geschieht. Meine Frau wird Ihnen keinen einzigen Vorwurf machen. Sie wird Sie umarmen, als wären Sie ihr Bruder und Ihnen aus dem Besten, was sie im Hause hat, ein Abendbrot bereiten. Wenn nun meine Frau, die auch ein sündiger Mensch ist wie wir alle, in dieser Weise vergeben und lieben kann, dann stellen Sie sich vor, wie Jesus, der selbst vollkommene Liebe ist, Ihnen vergeben und Sie lieben kann. Kommen Sie nur zu ihm zurück und alles, was Sie getan haben, wird vergeben sein." Borila war nicht ohne Herz. In seinem Innern wurde er von Schuld und Verzweiflung über das, was er getan hatte, verzehrt. Er hatte sein brutales Gerede uns entgegengehalten wie eine Krabbe ihre Scheren. Man brauchte seine schwache Stelle nur mit einem Fin- ger anzutippen, und schon brach sein Widerstand zu- sammen. Die Musik hatte bereits sein Herz bewegt, und nun kamen anstatt der Beschuldigung, die er erwartete, die Worte der Vergebung. Seine Reaktion war er- staunlich. Er sprang auf und zerrte mit beiden Händen an seinem Kragen, so daß sein Hemd zerriß. „O Gott, was soll ich tun, was soll ich nur tun?" rief er. Er barg 312 seinen Kopf in den Händen und schluchzte laut, sich hin und her werfend. „Ich bin ein Mörder, ich bin mit Blut getränkt, was soll ich nur tun?" Tränen liefen ihm die Wangen herunter. Ich rief aus: „In dem Namen des Herrn Jesu Christi gebiete ich dem Teufel des Hasses aus deiner Seele auszufahren!" Borila fiel zitternd auf die Knie, und wir fingen an, laut zu beten. Er kannte keine Gebete. Er bat einfach immer und immer wieder um Vergebung und sagte, er hoffe und wisse, daß sie ihm gewährt wird. Eine ganze Zeit lagen wir zusammen auf den Knien. Dann stan- den wir auf und umarmten uns. Ich sagte: „Ich habe versprochen, ein Experiment zu machen. Ich werde mein Wort halten." Ich ging in das andere Zimmer und fand meine Frau immer noch sanft schlafend. Sie war zu dieser Zeit sehr schwach und erschöpft. Ich weckte sie vorsichtig und sagte: „Hier ist ein Mann, den du kennenlernen mußt. Wir glauben, daß er deine Familie ermordet hat, aber er hat es bereut und ist jetzt unser Bruder." In ihrem Morgenrock kam sie heraus und streckte ihre Arme aus, um ihn zu umarmen. Dann fingen die beiden an zu weinen und einander immer und immer wieder zu küssen. Nie habe ich ein Brautpaar sich mit solcher Liebe, Innigkeit und Reinheit küssen sehen wie diesen Mör- der und die Überlebende seiner Opfern. Dann, wie ich vorausgesagt hatte, ging Sabine in die Küche, um ihm etwas zu essen zu holen. Während sie weg war, kam mir der Gedanke, Borilas Verbrechen seien so furchtbar gewesen, daß noch eine weitere Lektion erforderlich wäre. Ich ging ins andere Zimmer und kam zurück mit meinem damals zweijähri- gen Sohn Mihai. Er schlief weiter in meinen Armen. Erst vor einigen Stunden hatte Borila damit geprahlt, 313 wie er jüdische Kinder in den Armen ihrer Eltern er- schlagen hatte. Jetzt war er außer sich vor Entsetzen. Der Anblick war ihm eine unerträgliche Anklage. Er dachte, ich wollte ihn beschuldigen. Doch ich sagte: „Sehen Sie, wie ruhig er schläft? Sie sind auch ein neu- geborenes Kind, das in den Armen seines Vaters ruhen kann. Das Blut, das Jesus vergossen hat, hat Sie rein gemacht." Borilas Freude war herzbewegend. Er blieb bei uns über Nacht, und als er am nächsten Morgen erwachte, sagte er: „Es ist schon lange her, seit ich so gut ge- schlafen habe." Augustinus sagt: „Anima humana naturaliter christiana est" — die menschliche Seele ist von Natur aus christlich. Verbrechen sind gegen die eigene Natur. Sie sind das Ergebnis der gesellschaft- lichen Umstände oder können auch viele andere Ur- sachen haben. Welch eine Befreiung ist es aber, sie ab- zuwerfen, wie Borila es getan hatte. An jenem Morgen wollte Borila gern unsere jüdi- schen Freunde kennenlernen, und ich nahm ihn mit zu vielen jüdisch-christlichen Familien. Überall erzählte er seine Geschichte und wurde wie der heimgekehrte ver- lorene Sohn aufgenommen. Mit einem Neuen Testament versehen, das ich ihm gegeben hatte, ging er in eine andere Stadt, um sich seinem Regiment wieder anzu- schließen. Später kam Borila wieder zu uns und teilte mit, daß seine Einheit an die Front geschickt würde. „Was soll ich nun machen", fragte er, „ich muß wieder anfangen zu töten." Ich sagte ihm: „Nein, Sie haben bereits mehr Men- schen getötet, als einem Soldaten zugemutet werden kann. Ich bin nicht der Meinung, daß ein Christ sein Land nicht verteidigen soll, wenn es angegriffen wird. Aber Sie persönlich sollten nicht mehr töten. Lassen 314 Sie es lieber zu, daß andere Sie töten. Das verbietet die Bibel nicht." aus  Bildergebnis für aus Gottes Untergrund Seite 309

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