Schwerkraft? Wie altmodisch :D ~ Beginen~ Echt Gläubig?
Jede aufgenommene Begine soll zum Lebensunterhalt Rente oder Vermögen
besitzen oder eine Kunst verstehen, um sich die Existenzmittel zu erwerben
Keine Schwester wird vor dem Morgengebet ohne Genehmigung das Haus
verlassen, und ohne Erlaubnis darf vor dieser Zeit kein Mann das Haus
betreten oder dort nach dem Abendgebet bleiben.
Streit zwischen den Schwestern, die der Vermittlung bedürfen,
müssen vor dem Schlafengehen geschlichtet werden
Wenn eine Schwester der "Fleischessünde" zwei- oder
dreimal von zwei oder drei Mitschwestern überführt wird, soll
sie vom Haus ausgeschlossen werden.
Ob es dabei wirklich um die "Sünde" gegangen ist oder
nicht viel eher darum, völlig unabhängig von Männern zu
leben?
Offenbar hatten die Beginen erkannt, dass die Bezogenheit auf Männer
einem authentischen, selbstbestimmten Leben entgegensteht.
Geschichtliche Entwicklung & Verbreitung
Ab dem 12. Jahrhundert schlossen sich immer mehr Frauen im urchristlichen
Geist zusammen und zogen - ausgehen von Belgien, sich über das Rheinland,
Nord- und Südfrankreich ausbreitend - predigend und bettelnd (was
zu jener Zeit keineswegs unehrenhaft war - Ignatius von Loyola zog bettelnd
durch die Lande, und es gab etliche Bettelorden) herum. Viele der Frauen
waren streng kirchentreu, doch viele wollten eine eigenständige religiöse
Lebensform schaffen. Oft waren sie hochgebildet; lesen und schreiben galten
als "pfäffisch" und "weibisch". 1216 wurden die
Beginen vom Papst als religiöse Laienwohngemeinschaft anerkannt.
Sie durften auch ihre Geistlichen und Beichtväter selbst wählen,
was die Ortsgeistlichkeit aufbrachte.
Es gab große Konvente mit bis zu 60 Frauen, aber auch kleine mit
5 Frauen. Es gab auch Frauen, die allein lebten, Beginenkleidung trugen
und sich der Bewegung zugehörig betrachteten, aber gleichzeitig ihrer
normalen Beschäftigung nachgingen (z.B. als Magd). Die meisten Beginen
aber bauten, kauften oder mieteten ein Haus, mit eigenem Geld oder Geldern
aus Stiftungen adliger Frauen, die die Beginen unterstützten oder
selbst beitraten. Es war durchaus üblich, daß Frauen ihr Vermögen
anderen Frauen, den Beginen, vermachten. Die Beginen kamen aber aus allen
sozialen Schichten, von reich bis arm war alles vertreten.
Die Beginenkonvente finanzierten sich schließlich aus der Arbeit
ihrer Mitglieder: Dass die Gründung eines größeren Beginenkonvents
auf die Stiftung einer vermögenden Frau zurückging, war keineswegs
unüblich. Die Frauen brachten ihre Güter, ihr Vermögen,
ihre Aussteuer, ihren Landbesitz, ihre Fähigkeiten und ihre Arbeit
in die Konvente ein, sie übten ihre Berufe innerhalb und außerhalb
des Konvents aus.
Sie arbeiteten als Hebammen, Lehrerinnen, Seidenweberinnen, Spinnerinnen,
Wäscherinnen. In der Tuchmacher- und Wappenstickerei erwarben sie
sich mit der Qualität ihrer Arbeit hohes Ansehen und erzielten beträchtliche
finanzielle Erfolge. Sie bestellten Gemüsegärten und buken Brot.
Auch das Gewerbe des Bierbrauens lag vorwiegend in ihrer Hand. Ebenso
unterhielten sie Mädchenschulen.
Die Erlöse flossen in die Gemeinschaft, in die Armenversorgung und
Krankenpflege oder wurden in neue Wohn- und Werkstätten investiert.
Die vermögenden Konvente verliehen sogar Geld an die Stadträte
und sicherten sich damit die Unterstützung der Kommunen. Iim Laufe
der Zeit aber wurde nicht nur die Geistlichkeit, sondern auch die Honorationen
der Städte ihre Feinde. Und - wegen ihrer gewerblichen Tätigkeit
- auch die Zünfte, die diese Konkurrenz nicht brauchen konnten.
Einige Konvente waren so reich, daß sie dem Stadtrat Geld leihen
konnten, was ihnen für einige Zeit Schutz und Unterstützung
verschaffte, im Laufe der Zeit aber wurde wurde nicht nur die Geistlichkeit,
sondern auch die Honorationen der Städte ihre Feinde. Und - wegen
ihrer gewerblichen Tätigkeit - die Zünfte, die diese Konkurrenz
nicht brauchen konnten.
Es gab unter den Beginen viele hochgebildete Frauen. Bildung war nur
für unverheiratete und verwitwete Frauen des Adels und des aufstrebenden
gehobenen Bürgertums zugänglich, verheiratete Frauen hatten
schließlich für Mann und Haushalt da zu sein. Dennoch gab es
Frauen, die Philosophinnen, Literatinnen, Lehrerinnen waren und als solche
anerkannt wurden. Intellektuell hochstehend, anerkannt, gelesen und diskutiert,
hatten sie mit männlicher Missgunst zu tun und mussten auf ihre Position
zur katholischen Kirche achten, denn dieser sollte frau besser nicht unangenehm
auffallen.
1233 sind die ersten deutschen Beginen nachgewiesen, und zwar in Köln.
1299 existierten in Köln 88 Beginenkonvente, einige Jahrzehnte später
sogar 169. Die Konvente hatten oft die Größe dörflicher
Ansiedlungen und beherbergten bis zu 60 Beginen, Das läßt Rückschlüsse
darauf zu, welchen Einfluß diese Frauenvereinigungen auf das Kultur-,
Gesellschafts- und Wirtschaftsleben einer Stadt hatten. Köln hatte
im späten Mittelalter über 30.000 EinwohnerInnen, und war damit
nach Paris, Gent und Brügge die viertgrößte Stadt Europas.
Beginenkonvente in Köln waren u.a. in Stolkgasse, Komödien-
und Marzellenstraße.
Die größten Anwesen gab es in Belgien und Holland, diese waren
meist durch eine Mauer oder zusätzlich einen Wassergraben geschützt.
Einer der größten und ältesten Beginenhöfe war der
in Kortrijk in Belgien mit 136 Frauen, der heute noch besichtigt werden
kann. In Belgien gibt es noch einige Beginenhäuser zu besichtigen.
In Wien gab es ebenfalls Beginenhöfe. Das "Pfarrblatt der Dompfarre
St. Stephan, Ostern 2005" verrät uns Folgendes: "Manche
Frauenklöster in Wien hatten lose religiöse Vereinigungen von
Frauen nach Art der Beginen als Vorläufer." Genannt werden ein
Zisterziensterinnenkloster bei St. Niklas vor dem Stubentor, das Filialkloster
(ab 1272 bis ins 15. Jh.) bei St. Nikolaus in der Singerstraße,
das Prämonstratenserinnenkloster bei der Himmelpforte, das Augustinerchorfrauenkloster
St. Jakob auf der Hülben und das Dominikanerkloster St. Laurenz am
Fleischmarkt.
Die Beginenbewegung verbreitete sich rasch, und dementsprechend ließ
die Duldung des Papstes auch rasch nach. Schon 1259 wurde das "auffällige
und halsstarrige Wesen der Beginen" (Anke Wolf-Graaf) kritisiert
und besonders ihr Auftreten als Predigerinnen scharf verurteilt. Der englische
Geschichtsschreiber Mattäus Paris wunderte sich im 13. Jahrhundert
darüber, dass sich "die Anzahl gewisser Frauen, die das Volk
´Beginen´ nennt … zu Tausenden und Abertausenden in unglaublicher
Weise mehrte."
Anfang des 14. Jahrhunderts wurde ihnen Verbreitung von Irrlehren vorgeworfen,
sie galten als Ketzerinnenbewegung. Sie lebten nach ihren eigenen Regeln
und lehnten jede von der Kirche sanktionierte Ordensregel ab. Insbesondere
lehnten sie es ab, auf irgendeine Regel verpflichtet zu werden. Angeblich
stellten sie sogar das Ansuchen an den Papst, sich gegenseitig die Beichte
abzunehmen, was selbstverständlich (!) abgelehnt wurde.
Sie erhoben nachweislich den Anspruch, in theologischen Fragen mitzureden
- was für den Papst und die Mehrheit der Bischöfe (einige wenige
galten als ihre Förderer) eine unglaubliche Anmaßung und Respektlosigkeit
war. Die Beginen verfassten die meisten ihrer religiösen und theologischen
Schriften in der Volkssprache - wieder ein Stein des Anstoßes für
die Kirche, denn so wurden viele Menschen erreicht, die die offizielle
Kirchensprache Latein nicht beherrschten.
Da sie keiner religiösen Obrigkeit unterstanden, konnten sie - im
Gegensatz zu Nonnen - lehren und unterlagen keiner Gehorsamspflicht.
Sie galten als sexuell zügellos, ihnen wurden Orgien nachgesagt.
Sicherlich war das Propaganda, doch muss damals noch von etlichen Frauen
ein freierer Lebensstil gepflegt worden sein, als von der Kirche geduldet
und später auch durchgesetzt wurde. Denn über mehrere Jahrhunderte
hinweg klagen Priester in Visitationsberichten über die haarsträubenden
Zustände in Nonnenklöstern (z.B. mahnte 1301 der Passauer Bischof
Wernhard den Probst des Stiftes Klosterneuburg, der ihm unterstellte Frauenkonvent
St.Jakob in Wien möge von der Regel des Hl.Augustinus nicht abweichen
- ein Hinweis darauf, dass die Ordensregel bei St.Jakob noch nicht sehr
lange bestand), über Liebschaften der Nonnen untereinander, mit dem
Beichtvater, über Kinder der Nonnen, die im Kloster aufwuchsen; teilweise
hieß es, sie würden ein Bordell führen (was immer das
für die Priester und Mönche bedeutet haben mag).
Die Frauengemeinschaften wurden im Laufe der Jahrhunderte immer mehr
unter die päpstliche Knute gezwungen. Die Amtskirche versuchte zunehmend,
Kontrolle über die Beginen zu bekommen, wobei sie auch in den Verdacht
kamen, ketzerisches Gedankengut zu verbreiten. 1311 entzog Papst Clemens
V. entzog den Beginen auf dem Vienner Konzil 1311 die Anerkennung des
laienreligiösen Standes.
Vorerst blieb diese Aberkennung aber ohne Wirkung für das alltägliche
Leben, und Mitte des 15. Jahrhunderts stellte Papst Eugen IV. die "rechtgläubigen"
Beginen wieder unter den Schutz der katholischen Kirche - doch die Anerkennung
der Beginen als laienreligiöser Stand war umstritten und das Recht
auf ökonomische und religiöse Unabhängigkeit mussten sie
sich immer wieder erstreiten.
Dennoch existierten die Beginenkonvente in alter Weise weiter - und zwar
über vier Jahrhunderte. Allerdings wurden überall die Dominikaner
als Inquisitoren eingesetzt (die später auch die systematische Verfolgung
und Ermordung hunderttausender, wenn nicht Millionen Frauen als »
Hexen betrieben). Es ist davon auszugehen, dass im 14. und 15. Jahrhundert
auch viele Beginen als Hexen verbrannt wurden, doch gibt es darüber
keine Quellen.
Ein Problem war auch die sexuelle Gewalt, die von den Frauen auch thematisiert
wurde. Immer wieder mussten sich die Beginen (vor allem diejenigen, die
nicht in gemeinsamen Häusern lebten, sondern frei herumzogen) gegen
sexuelle Belästigungen sowohl weltlicher als auch geistlicher Männer
schützen. Siehe dazu auch das Lied der Begine Anna
von Köln.
So ist z.b. überliefert, dass Beginen aus Osnabrück und Paderborn
sich immer wieder darüber beklagten, dass sie von Geistlichen und
Laien zur "Unzucht" angehalten und vielfach belästigt wurden.
So mancher Papst versuchte durch sogenannte "Schutzbriefe" die
Beginen davor zu schützen - wie wenig wirksam solche Schutzbriefe
waren, zeigen die zahlreichen kurzfristigen Erneuerungen.
So wurde z.B. der Kölner Kardinallegat von den Kölner Beginen
1251 gebeten, den päpstlichen Schutzbrief von 1250 zu bestätigen,
und zwar deshalb, weil "die, welche nicht durch
Klostermauern oder durch eine Regel geschützt seien, sondern gleichsam
mitten im Meere den Gefahren der Welt ausgesetzt wären...ganz besonderen
Schutzes bedürften" (zitiert nach Helga Unger).
Verfolgung & Niedergang
Dem erstarkenden Christentum und den Stadtherren waren die zunehmende
religiöse Selbstständigkeit ein Dorn im Auge. Da die Beginen
auf eigene Rechnung, d.h. zunftunabhängig produzierten, und somit
eine ernsthafte wirtschaftliche Konkurrenz für die Zünfte darstellten,
begann sich auch bei den Zünften Unmut zu regen.
Die religiöse Begeisterung der Beginen und ihre Unabhängigkeit
von männlicher Bevormundung erregten immer wieder das Misstrauen
der kirchlichen Obrigkeit, des Rates und der Zünfte. Papst Pius V.
erließ 1566 eine Verfügung, die den Zusammenschluss von Frauen
zu einem Orden neu regelte. Er wünschte, dass alle Frauen den Nonnenschleier
nähmen und sich festen Regeln unterwürfen.
Da aber Nonnen keine theologischen Inhalte mehr lehren oder diskutieren
durften (Frauen generell war zu dieser Zeit der Zutritt von Universitäten
untersagt), lieferte dieses Verbot den Vorwand, den "Orden"
(der ja keiner war) zu verbieten und ihr Vermögen zu beschlagnahmen.
Dem Konzil von Vienne diente es als Ausrede, die lehrenden Beginen, ihres
Landes und ihrer Häuser zu berauben:
"Es ist uns berichtet worden, daß bestimmte
Frauen, gemeinhin Beginen genannt, von einer Art Wahnsinn befallen, die
Heilige Trinität disputieren und das göttliche Wesen, und Meinungen
über Dinge des Glaubens und die Sakramente vertreten. ...Da diese
Frauen niemanden irgendeinen Gehorsam versprechen und nicht auf ihren
Besitz verzichten oder sich zu einer genehmigten (Ordens-)Regel verpflichten,
...haben wir beschlossen und mit der Zustimmung des Konzils erklärt,
daß ihre Art zu leben für immer verboten ist, und daß
sie alle zusammen aus der Kirche Gottes aufgeschlossen sind."
Die Zahl der Konvente und der Beginen war erheblich zurückgegangen,
die vorhandenen waren aber noch immer ein bedeutender wirtschaftlicher
Faktor in den Städten. Nachdem nun die Inquisition Ruhe gab, meldeten
sich die Zünfte, es kam zu ersten Krisen, die Beginen wurden überall
zurückgedrängt. Teilweise erfuhren sie Unterstützung von
den Frauen ihrer Stadt; so gibt es die Geschichte, daß eine Schule
der Beginen vom Stadtrat geschlossen wurde, die Frauen ihre Kinder aber
nicht in die Klosterschule schicken wollten, weil sie dort häufig
geschlagen wurden; sie gaben also die Kinder offiziell als Dienstboten
zu den Beginen, die sie in Wahrheit aber unterrichteten.
Die Reformation des 16. Jahrhunderts führte zur endgültigen
Auflösung der Beginenkultur. Nach der Reformation wurden die meisten
Beginenkonvente aufgelöst. Die Ansichten Luthers, dass Frauen ausschließlich
zu Hausfrauen und Müttern geschaffen seien, griffen immer weiter
um sich. Alleinstehende Frauen, und solche, die mit anderen in Gemeinschaften
lebten, sanken immer mehr im öffentlichen Ansehen.
Gemeinsam mit den Nonnen wurden auch die Beginen zwangsweise aufgelöst.
Einige Konvente in Deutschland retteten sich durch Umwandlung in Klöster,
wodurch sie sich aber der Kontrolle der Kirche unterstellten und auch
dem Predigt- und Lehrverbot von Nonnen unterlagen. Nur Belgien machte
eine Ausnahme, hier existierten Beginenhöfe, wenngleich nicht mehr
in der früheren Form, sondern Nonnenklöstern vergleichbar. In
Holland hingegen wurde das Zusammenleben alleinstehender katholischer
Frauen generell verboten (die Machthaber müssen sehr große
Angst vor der Macht zusammenlebender Frauen gehabt haben!). Ihre Besitzungen
wurden eingezogen, ihre Konvente zerstört oder niedergebrannt; oft
wurde den Frauen das schützende Eingangstor ausgehängt, wodurch
sie praktisch vogelfrei wurden.
Aber noch bis weit in die Neuzeit hinein existierten mancherorts Beginen,
z.B. in Belgien, wo einige Konvente - wie etwa der Beginenhof von Kortrijk
- erhalten blieben. Hier lebte bis 1981 die letzte europäische Begine.
Im Dezember 1999 ernannte die UNESCO 12 Beginenhöfe in Flandern zum
schützenswerten Weltkulturerbe.
Es gibt heute wieder Frauen, die an die alte Beginentradition
anknüpfen: In den letzten Jahren ist der Gedanke der Beginenbewegung
wieder aufgelebt, in Deutschland wurden Beginenhöfe und -häuser
gegründet.
Bekannte Beginen
Marguerite de Porété
Eine der hochgebildeten, angesehenen Frauen, die sich dezidiert selbst als
Begine bezeichnete, war Marguerite (Margarete) de Porété (auch
Porète, Poirette), eine französische Mystikerin und Philosophin,
die zwischen 1250 und 1260 im Hennegau geboren und 1310 in Paris getötet
wurde. Es war die Zeit der Kreuzzüge und der Zerschlagung der Templer,
die Zerstörungszüge gegen die Katharer und die Albigenser lagen
erst wenige Jahrzehnte zurück, die Religion wurde von Mönchsorden
getragen und verbreitet. Die Zwangsmissionierung Europas lag noch nicht
so lange zurück und hatte nur die höheren Schichten erreicht,
im Volk aber, und gerade auch im Denken von Mystikerinnen, lebten noch ältere
Glaubensvorstellungen weiter.
Über Marguerites Herkunft und ihr Privatleben ist nicht
mehr bekannt, als dass sie aus einer Patrizierfamilie stammte, in erster
Linie im Nordosten Frankreichs lebte und sich der Beginenbewegung angeschlossen
hatte. Sie definierte sich selbst als Begine und gilt als die Denkerin
der Beginen. Sie war theologisch hochgebildet, kannte offenbar die gesamte
Literatur ihrer Zeit, war als Übersetzerin tätig; sie übersetzte
auch die Bibel selbst und interpretierte sie anders.
Marguerite de Porété schrieb den religiösen
Text "Spiegel der armen Seele" oder "Spiegel der einfachen
Seelen". Wobei beide Übersetzungen unzureichend sind, denn im
Original heißt es "simple" = eins, ganz. Sie verwendete
die im Mittelalter beliebte literarische Form eines erdichteten Streitgesprächs.
Das Buch ist ein auf Sprechrollen verteiltes Lehrbuch der Liebesmystik,
das den Weg der Seele über sieben Stufen zur Vollkommenheit beschreibt;
es besteht aus 139 Kapiteln, die in sich geschlossene Abhandlungen über
bestimmte geistliche Fragen sind. Hauptpersonen sind die Seele und die
personifizierte Liebe in der Auseinandersetzung mit der personifizierten
Vernunft, weitere Personen sind die Fassungskraft der Vernunft, die Unterscheidungsgabe,
das Verlangen, die Furcht, die Verdutztheit, die Vornehmheit, die Wahrheit,
das Licht des Glaubens, die Kirche, Gott und der Heilige Geist. Das Buch
wurde über 700 Jahre praktisch durchgehend publiziert, und das auch
schon 200 Jahre vor Erfindung des Buchdrucks, und in über 20 Sprachen
übersetzt. Es beeinflusste auch verschiedene MystikerInnen, wie Meister
Eckhart, Therese von Avila, Johannes vom Kreuz.
Nach Marguerites Vorstellung verschmelzen die menschliche
Seele und Gott zu einer Einheit, was von der menschlichen wie von der
göttlichen Seite her ersehnt werde. "Die befreite Seele trachtet
nicht nach Gott, weder durch Buße noch durch irgendein Sakrament
der Heiligen Kirche, noch durch Gedanken, Worte und Werke..." Die
Vollkommenheit in der Vereinigung der Seele mit Gott beschrieb sie als
eine den Tugenden enthobene Freiheit.
Es war vor allem diese VorsteIlung einer ganz von Liebe
durchdrungenen Freiheit, die von den kirchlichen Behörden als Unmoral
(miss)verstanden wurde. Es folgten mehrere Verfahren wegen Häresie
und Ketzerei, es folgten Kerkerhaft und Inquisitionsgericht.
Marguerite wurde trotzdem immer noch als Christin und als
christliche Lehrerin gehandelt, die nur "Abweichungen" hatte.
Immer wieder wurde das Buch abgeschrieben und verbreitet, sie hatte Auftritte
und las daraus vor. Vor 1300 holte sie mehrere Gutachten von Bischöfen
und anderen hohen kirchlichen Würdenträgern ein, die bestätigten,
daß es im Sinn der Exegese der Bibel korrekt sei, wenn sie schrieb,
dass Gott eine Frau sei bzw. daß die Bibel so gelesen werden könne.
Diese Vorsicht nützte jedoch auf Dauer nichts.
Der Papst erließ eine Bannbulle gegen den "Spiegel".
Vor oder nach 1300, das ist unklar, kam es zum ersten Inquisitionsprozess;
öffentliche Verbrennung und Verbot des Buches folgten. Marguerites
Werke wurden aus den Klöstern gerissen und als "Werk des Teufels"
verbrannt. 1304 gab es einen Streit der Bischöfe, ob sie eine Ketzerin
sei und "aus der Kirche eine Frauenkirche machen will" - was
sie aber im Gegensatz zu Wilhelmina von Böhmen nie explizit geschrieben
hat. Manche bezeichneten sie aber auch jetzt noch als Philosophin und
christliche Lehrerin.
1306 kam es zu einem erneuten Inquisitionsprozess, sie wurde
exkommuniziert und saß in Kerkerhaft in Paris. 1309 wurden 15 Artikel
des "Spiegel" durch eine einundzwanzigköpfige Pariser Theologenkommission
verurteilt. Marguerite wurde verurteilt und 1310 als Ketzerin verbrannt.
Ausschlaggebend für die Verurteilung war vermutlich die Hartnäckigkeit,
mit der sie ihre Ansichten vertrat, ihre Weigerung, in der Befragung Rede
und Antwort zu stehen wie auch die rasche Verbreitung des "Spiegel"
im Volk.
Angeblich soll sie am Weg zum Scheiterhaufen widerrufen
haben, doch nun war es zu spät. Sie wurde bis heute nicht rehabilitiert.
Dies geschah einer Frau, die vor siebenhundert Jahren folgendes sagte:
"Dassjedes vernünftige Wesen in sich von
Natur aus glücklich ist, daß der Mensch in diesem Leben zu
einer endgültigen Glückseligkeit finden kann".
Mechthild von Magdeburg
Bekannt ist auch Mechthild von Magdeburg, die um 1207/1210 geboren wurde
und mit 12 Jahren nach eigenen Angaben vom heiligen Geist angesprochen
wurde. Bald nach ihrer Geburt verdammte das Laterankonzil jede Abweichung
vom Glaubensbekenntnis, dennoch wurden die Beginen Anfang des 13. Jahrhunderts
als "religiöse Frauen" bezeichnet. Zeitgleich lebte Thomas
von Aquin, dessen Lehre die Basis für den Hexenhammer bildete. Zu
der Zeit, da Mechthild ihr Elternhaus verließ, beschloß Papst
Gregor IX die Inquisitionsgerichte und befaßte sich mit Beginen,
Begarden und verschiedenen HäretikerInnen.
Auf ausdrücklichen Rat ihres Freundes und Beichtvaters schreibt
Mechthild ihre Visionen als "Offenbarungszeugnis" nieder; d.h.,
sie hatte bereits zum Zeitpunkt des Niederschreibens selbst eine gewisse
Zensur ausgeübt, um nicht in den Fängen der Inquisition zu landen.
Und dies war auch klug, denn Mitte des 13. Jahrhunderts wurde Folter ein
legitimes Mittel der Inquisition gegen HäretikerInnen, und Papst
Alexander IV legt fest, daß sich die Inquisitoren vor allem mit
der Hellseherei, Wahrsagerei und mit Frauen von besonderen Kenntnissen
der Heil- und Kräuterkunde befassen sollen.
Mechthild lebte lange Zeit auf dem Beginenhof zu Magdeburg, der aber
immer häufiger der kirchlichen Obrigkeit auffiel und schließlich
den Dominikanern unterstellt wird. Mechthild musste in ein Kloster und
wählte das Kloster Helfta, wo auch andere Frauen, Mechthild von Hackeborn
und Gertrud die Grosse, führende Frauen der christlichen Mystik,
wirkten.
Unter dem Titel "Das fließende Licht der Gottheit" werden
ihre Berichte herausgebracht. Mechthild von Magdeburg formulierte, dass
es keinem Mann gestattet sein kann, sich über die Frau zu stellen,
dass niemand Gott als Mann darstellen darf, dass das Gottesbild von Männern
erdacht und als Machtmittel eingesetzt worden war.
Wenn Mechthild Gott als Kugel und Kreis darstellte und als das "große
Gefäß" bezeichnete, verwendete sie, ohne es zu wissen,
uralte weiblich-matriarchale Göttinnenbilder. Mechthild von Magdeburg
wagte es, die Bibel neu zu deuten, Gott als auch weiblich zu benennen
- und das war wirklich ein Wagnis. Leider sind nur von einem einzigen
Werk von ihr Abschriften erhalten, wir haben also kaum gesicherte Angaben
über sie und ihr Werk.
Anna von Köln
Eine der Kölner Beginen war die als Anna von Köln bekannte
Frau, die um 1500 - also schon in der Spätphase der Beginenbewegung
- "Mutter" eines solchen Konvents war. Sie hatte den reibungslosen
Ablauf der Arbeiten zu überwachen, die finanziellen Angelegenheiten
zu regeln, für das harmonische Zusammenleben der Frauen und die Aufrechterhaltung
der Statuten zu sorgen.
Dazu gehörte auch, daß Männern nur in dringenden Fällen
Einlass gewährt wurde; zum einen, um sich vor Belästigungen
oder wütenden Ehemännnern oder Liebhabern, und zum anderen,
um sich und die Mitschwestern vor den Belästigungen durch die örtlichen
Pfarrgeistlichkeit zu schützen.
Anna von Köln stellte ein - heute nach ihr benanntes - Liederbuch
zusammen. Die Lieder wurden vermutlich in der hauseigenen Kapelle und
im großen Aufenthaltsraum gesungen; zumindest weisen viele Lieder
Kehrreime auf und zum Einstimmen bestimmte Anfangstöne - dies verweist
nach Eva Weissweiler auf Chorpraxis.
Ihr Liederbuch enthält 82 geistliche Melodien, von denen 80 als
Schöpfungen von Beginen angesehen werden (die restlichen 2 sind von
Martin Luther und Thomas von Kempen).
Ein Lied, zu Ehren der Jungfrau Maria:
"Ohne Mann
Du Blütenzweig
Von wunderbarer Art."
Klingt da nicht die Annahme einer tatsächlich jungfräulichen
- im Sinne von Parthenogenese - Geburt durch? Vom Heiligen Geist hören
wir hier jedenfalls nichts!
Interessant ist auch folgendes Lied:
"Gelaissen had eyn sustergyn
Und sy gink in ihr kemmergyn.
Jesus quam zo ir gegaen
Und wolt ein kosen myt ihr han.
Nu ganck, her Jesus, nu ganck!
Ick han gelaissen und ich bin kranck!"
(zitiert nach Eva Weissweiler)
Frei übersetzt: Eine kranke Schwester geht in ihre Kammer, Jesus
kommt zu ihr und will mit ihr kosen, woraus sie ihn mit diesen Worten
fortschickt:"Geh weg, Herr Jesus, geh weg, ich bin krank!"
In weiterer Folge dieses Liedes soll sich herausstellen, daß die
Schwester die "kranke Seele" sei, die bei Jesus Trost findet
- warum er davor sie bedrängen muss, sodass sie sich gegen seine
(sexuellen!) Zudringlichkeiten wehren muss, wird nicht erklärt, und
ich glaube es auch nicht. Hier geht es ganz eindeutig um sexuelle Gewalt
- hier von seiten der Pfarrer und Priester.
Nonnen im Mittelalter
Auch das Klosterleben war keine so deprimierende Angelegenheit, wie wir
oft glauben. Natürlich wurde viel gebetet und hart gearbeitet, aber
zumindest letzteres war auch im zivilen Leben der Fall, und zumindest
war die Lebenserwartung einer Nonne höher als die einer Ehefrau,
die häufig schwanger war.
Klarerweise hat es alle Abstufungen gegeben, und zweifellos hat es auch
harte, brutale, ungerechte Äbtissinnen und Gewalt Nonnen gegenüber
gegeben. Doch das Klosterleben bot viele Vorteile: Frauen konnten einer
aufgezwungenen Ehe entgehen, einem tyrannischen Ehemann entfliehen, hatten
gute Kontakte zur Außenwelt und allen Visitationsberichten zufolge
kam das Sexualleben auch nicht zu kurz.
So wird z.B. berichtet, dass nach dem Tod einer Nonne die Aussage ihrer
"lieben Heimlichen" über ihre Vererbungswünsche rechtswirksam
war. Nonnen betrieben Apotheken und unterrichteten Mädchen, sie betrieben
theologische und wissenschaftliche Studien, erforschten, beschrieben (und
wendeten wohl an) Heilmethoden, verfaßten literarische Arbeiten,
waren bekannte Illustratorinnen und Miniaturmalerinnen.
Bekannt wurde Hildegard von Bingen (1098 bis 1179), die mit ihren Schriften
zur Heilkunde und zur Mystik ebenso großes Ansehen gewann wie als
Beraterin von Königen und als Wirtschaftsberaterin von Klöstern
und Gutshöfen. Herrade von Landsperg im 12. Jahrhundert verfasste
eine Enzyklopädie, Gisela von Kerssenbrock war im 12. Jahrhundert
eine bekannte Buchmalerin.
Es gab übrigens mehrere Frauen, die religiös/spirituell ihre
eigenen Ideen (oder vielleicht: ältere Ideen, die sie ins Christentum
übernahmen) vertraten und auch zahlreiche Anhängerinnen und
Anhänger fanden, beispielsweise Wilhelmine von Böhmen, die im
13. Jahrhundert eine Frauenkirche mit weiblicher Hierarchie anstrebte
und von den Zisterziensern jahrelang als Heilige verehrt wurde, und Paola
Antonia Negri im 16. Jahrhundert, die von ihren AnhängerInnen als
"göttliche Meisterin" angesehen wurde, entschied ob Priester
die Messe lesen durften und durch Fußfall verehrt wurde.
Fazit
Frauenleben im Mittelalter konnte wesentlich vielfältiger und aufregender
sein, als uns heute bekannt ist!
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