»Ich bin mit Christus gekreuzigt!« (Gal. 2, 19).
Wer je mit diesem Apostel dieser Kreuzesschau gefolgt ist, dessen Leben ist auf die andere Seite gekommen.
Nie wird er mehr lachen können, wie er vorher gelacht hat. Er weiß sich einem Geschlecht zugehörig, um
dessen Sünde willen der Sohn Gottes ans Kreuz hingegeben werden mußte. Er sieht die Menschen und die
Welt anders an. Er sieht sie an, wie Gott sie im Zeichen des Kreuzes ansieht, nämlich zunächst durchstrichen,
entwertet, gerichtet. Er hat nicht mehr lieb die Welt und was in der Welt ist. Er weiß nun, was die Bibel meint,
wenn sie vom »Fleisch« redet. Kein Zauber und keine Anmut dieses Fleisches fangen mehr bei ihm. Er sieht
in der Lust dieser Welt den schmachvollen Gegensatz zum unaussprechlichen Ernst des Kreuzes. Er haßt
Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern (Luk. 14, 26) mit göttlichem Haß. Dieser Haß ist frei von
menschlicher Bosheit. Er ist nichts anderes als die schmerzliche Abkehr von der Unzulänglichkeit alles Ge
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schöpflichen, dessen sündiges Fleisch Gott im Fleisch seines Sohnes am Kreuze verdammen mußte (Röm. 8,
3). Noch ganz besonders haßt er aber sein eigen Leben. Nie mehr wagt er die Augen wie früher zu sich selber
zu erheben. Die Ichherrlichkeit ist dahin. Wer sich wirklich mit Christus am Kreuz gesehen, dem ist das Kreuz
in alle Sinne und Glieder gefahren. Jede selbstgefällige Leichtbeweglichkeit ist ihm genommen. Er kann nicht
mehr tun, was sein natürliches Wesen will. Er erscheint wie ein Angehefteter, wie ein Angenagelter, wie ein
von Gott Überwundener, Festgehaltener und Abgesonderter. Das macht, er sieht die Welt und sich selbst mit
Christus gekreuzigt, und die Welt sieht ihn gekreuzigt (Gal. 6, 14). Gleichwie der Leib des Auferstandenen
doch noch die Wundmale zeigte, so zeigen sich die Kreuzesspuren im Wesen eines jeden, der sich mit Christus
gekreuzigt weiß.
Ich kannte einen solchen. Er verteilte Traktate in der vierten Wagenklasse eines Zuges. Als er auch einem An
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getrunkenen ein Blättchen reichte, schlug dieser ihn mit der Faust ins Gesicht. Nach dem Bau seiner Glieder
zu urteilen, wäre es dem Geschlagenen ein Kleines gewesen, seinem Angreifer Schlag mit Schlag zu vergelten.
Wohl durchzuckte es ihn jäh, aber er blieb ein Gehaltener, ein Angenagelter, ein mit Christus Gekreuzigter.
Und so sprach er still, wie vom Kreuz herab: »Schlagen Sie mich nur weiter. Mein Heiland liebt Sie doch, und
ich liebe Sie auch.« - Das ist etwas anderes als menschlich-natürliche Selbstbeherrschung oder Selbstverleug
nung. Diese beruht immer auf Selbsteinsetzung, statt auf Selbstaufgabe, und setzt immer Selbstbewertung
und Selbstvermögen voraus. Christus aber konnte nichts aus sich selber tun und ward als der bis zum Tod am
Kreuz in seines Vaters Kraft Gehorsame in Schwachheit gekreuzigt. So sind auch die, die mit ihm am Kreuz
ihre Selbstbewertung und ihr Selbstvermögen verloren haben.Seht Paulus an! Das Kreuz hatte ihn um jede eigene Weisheit, Kraft und jeden Eigenruhm gebracht. In bezug
auf sich selbst aber hatte ihn die gottgeschenkte Kreuzesschau eine Weisheit gelehrt, die er niemals zu Füßen
des Gesetzeslehrers Gamaliel gelernt hätte, nämlich die Weisheit: »Ich weiß, daß in mir, das ist in meinemFleische, wohnt nichts Gutes.« (Röm. 7, 18). Höre, so sehr war das Kreuz Christi der Gradmesser seiner
Selbstbewertung geworden, daß das angezeigte Ergebnis auf: »Nichts!« lautete! Nichts Gutes in mir selbst!Das ist der Nullpunkt des Selbstvermögens, der genau dem Mitgekreuzigtsein in Christus entspricht. aus http://www.gottliebtuns.com/doc/Fritz%20Binde%20-%20Vom%20Anarchisten%20zum%20Christen.pdf Seite 40
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